Leben, überleben, kämpfen

Veröffentlicht auf von Inga Lück

Das Camp steht mitten im Nirgendwo: Weiße Zeltdächer in einer Staubwüste.  Die erhöhten Sicherheitsposten sind besetzt. Jeder Mann ist bewaffnet und trägt die Camouflage-farbene Uniform der Bundeswehr. Hier verbringen die Erstankömmlinge drei Wochen, bevor sie in die festen Behausungen umziehen dürfen. Ein Hauch des europäischen Luxus schimmert trotzdem durch: Es gibt eine Kirche und eine Grillanlage. Sogar ein Pool befindet sich hinter der dicken Mauer aus Sand und Stein, die das ganze Areal umgibt. Sie schützt die Soldaten vor einem möglichen Beschuss – und vor Attentaten.

 

Przemek Kobus (33) zeigt uns diese Bilder. Panzer, Waffen, Bomben, Explosionen. Es sind Ausschnitte aus seinem Einsatz in Afghanistan, wo er ab August 2010 für ein halbes Jahr stationiert war. Kobus Stimme bleibt soldat4.JPGdie ganze Zeit völlig ruhig, als würde er eine Schulklasse durch ein Naturkunde-Museum führen. Für ihn scheinen die Erinnerungen nichts Erschreckendes mehr zu haben.

Robert Sedlatzek-Müller (35) war ebenfalls in Afghanistan – schon mehrmals. 2003, bei seinem zweiten Einsatz, wäre er beinahe gestorben. Durch eine selbstgebastelte Bombe der Taliban. Schwer verletzt lag er am Boden, unfähig zu helfen. Er musste mitansehen, wie fünf seiner Kameraden verbluteten.

Sedlatzek-Müllers Narben blieben nicht nur auf dem Körper zurück, sondern auch im Geist. Er leidet seitdem an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Trotzdem ließ er sich erneut rekrutieren. Von 1998 bis 2010 waren es insgesamt vier Auslandseinsätze. Während er die Bilder betrachtet, ist ihm seine Nervosität zwar deutlich anzusehen. Er folgt ihnen dennoch mit Interesse und kommentiert gelegentlich.

Der Film besteht aus Fotos und Videosequenzen, die mit lockerer, heroischer Musik hinterlegt sind. Trotzdem bleiben die Bilder erschreckend: Der Krieg bekommt durch sie ein anderes Gesicht. Konturenreicher. Jeder hat schon Fotos aus Afghanistan gesehen – in solch einer Zusammenstellung und Vielfalt aber noch nicht. Wie genau sich die Realität dort anfühlt, können wir trotzdem nicht erahnen. Aber wir haben sie durch die Augen der Soldaten gesehen.

Es bleibt zu bedenken, dass er nicht von den Männern selbst zusammengeschnitten wurde. Die Bundeswehrsoldat5.JPG untersuchte das gesamte Material, schnitt daraus diesen Film. Er soll einen positiven Eindruck von Auslandseinsätzen vermitteln.

45 Minuten reichen uns Jungjournalisten: Schussübungen, Bombenexplosionen, verwundete Soldaten unter Beschuss. Sogar zersprengte Körperteile. Fragen kommen unwillkürlich in unseren Köpfen auf: Wozu diese Gewalt? Weshalb erschießen diese Menschen andere? Wie rechtfertigen die Soldaten ihr Handeln?
Gar nicht. Sedlatzek-Müller sagt: „Wir führen die Befehle nur aus.“ Kobus fügt hinzu, dass das Töten auf keinen Fall ein Ziel sei. „Wir führen den Auftrag aus. Wenn Töten dazu gehört, dann ist das so.“ Für beide steht fest: Die Legitimation der Einsätze komme von der Bundesregierung. Damit ist die Schuld- und Gewissensfrage für sie geklärt, endgültig.

„Soldaten sind die größten Pazifisten überhaupt“, sagt Kobus. Sie würden ihr Land schützen – oder in einem fremden für Frieden sorgen. Das vermittelt auch der Vorspann des Videomaterials: In Star-Wars-Verschnitt predigt er von Menschlichkeit, Loyalität und Treue. Davon, dass die Soldaten selbst auch zu Opfern werden und unglaubliche Schmerzen erleiden können. Sie setzen sich für das eigene Land und die Freiheit ein – mit ihrem eigenen Leben.

Dabei geraten sie oft in die Bredouille. „Einen Beschuss darf man sich nicht wie im Film vorstellen, wo ein Magazin nach dem nächsten verballert wird“, sagt Kobus. „Von neun Stunden Gefecht sind höchstens 40 soldat1.JPGMinuten wirkliche Schießerei.“ Die restliche Zeit wird gewartet, vorgerückt und ausspioniert.
Kobus ist Scharfschütze. Deshalb postiert er sich immer abseits vom Tumult, um seine Kameraden zu beschützen. „Dann läuft in mir ein Automatismus ab. Alles ist antrainiert. Das ist, als wenn ein Formel-1-Fahrer in seinen Wagen steigt.“ Für Kobus ist es ein Autorennen, für Sedlatzek-Müller ein Wettkampf: „Entweder wir oder sie.“ Leben oder sterben.

Mit dem Tod aber endet die Feindschaft. Über die Kameraden, die auf Leichen pinkeln oder mit Schädeln posieren, entrüsten sie sich: „Das ist nicht zu entschuldigen!“ Trotzdem, sie versuchen es mit einer Begründung: „In solchen Einsätzen kommen wir an unsere Grenzen.“ Es komme zu einer Kriegsverrohung, die Gedanken reduzieren sich auf „leben, überleben und kämpfen“. Das trete bei jedem auf. Wenn der Soldat nicht rechtzeitig abgezogen wird, könne er sein Bezugssystem verlieren. Seine Moral. Sein Gewissen.

Damit so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt, stellt die Bundeswehr den Einheiten neuerdings „Peers“ zur Seite. Diese Soldaten absolvieren zusätzlich eine psychologische Weiterbildung, um genau solche Fälle zu erkennen und die Personen früh genug nach Hause zu schicken.

Auch Sedlatzek-Müller kam verwundet und traumatisiert nach Hause. Immer wieder kommen die Bilder in ihm hoch. Spielt er einen Ego-Shooter, erleidet er nach wenigen Minuten einen „Trigger“, einen Rückfall. Zittern, Kopfschmerzen, Herzrasen. Wieso kehrte er zwei Jahre später zurück nach Afghanistan? Trotz seiner schweren Krankheit? „Ich konnte mich immer auf die anderen verlassen.“ Diese unzerstörbare Kameradschaft und Solidarität treibt auch Kobus an: „Ich könnte natürlich bleiben. Aber wenn ich dann hören sollte, einer meiner Kameraden ist gefallen, werde ich mich immer fragen: Hätte ich ihn retten können?“

Beide könnten sich dauerhaft in Deutschland stationieren lassen, könnten bei ihren Frauen und Kindern bleiben. Aber kein Job erfüllt sie so wie das Soldatentum. Es ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Beide wollen zurück. In den Krieg. Sie werden wieder mit ihrem Leben spielen.

 

Veröffentlicht in JPF-News

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post